Am liebsten stellen wir Menschen in Unternehmen ein, die bereits aus der Branche sind. Denen muss man zwar die Abläufe noch erklären, aber nicht mehr, wie die Branchen-Welt tickt. Das wissen die bereits. Mit Quereinsteigern tun wir uns oft schwer. Das mag vielleicht noch im Bereich Sachbearbeitung und Verkauf möglich sein. Da können wir sie leichter „ruhigstellen“. Aber in dem Moment, wo es um Führungspositionen geht hätten wir schon gerne jemanden, der bereits Branchenerfahrung, Stallgeruch hat.
Und schon haben wir ein neues „Denk-Geländer“ in der Firma. Das Denken ist bereits eingezäunt. Er bewegt sich auf unserem vertrauten Gelände. In kreativen Prozessen ist das allerdings hinderlich. Unsere Lösungsmuster sind begrenzt. Für uns ist alles, was sich außerhalb des „Geländers“ befindet irrelevant.
Wir hätten zwar alle gerne neue Lösungen. Aber bitte nur solche, die wir als gut befinden. Wenn jemand eine Lösung findet, die sich außerhalb des Geländers befindet, dann gilt die in der Regel nicht.
Die folgende Frage, wurde in einer Physikprüfung, an der Universität von Kopenhagen gestellt:
„Beschreiben Sie, wie man die Höhe eines Wolkenkratzers mit einem Barometer feststellt."
Ein Kursteilnehmer antwortete: „Sie binden ein langes Stück Schnur an den Ansatz des Barometers, senken dann das Barometer vom Dach des Wolkenkratzers zum Boden. Die Länge der Schnur plus die Länge des Barometers entspricht der Höhe des Gebäudes."
Diese, in hohem Grade originelle Antwort entrüstete den Prüfer dermaßen, dass der Kursteilnehmer sofort entlassen wurde. Er appellierte an seine Grundrechte, mit der Begründung, dass seine Antwort unbestreitbar korrekt war, und die Universität ernannte einen unabhängigen Schiedsrichter, um den Fall zu entscheiden. Der Schiedsrichter urteilte, dass die Antwort in der Tat korrekt war, aber kein wahrnehmbares Wissen von Physik zeige. Um das Problem zu lösen, wurde entschieden den Kursteilnehmer nochmals herein zu bitten und ihm sechs Minuten zuzugestehen, in denen er eine mündliche Antwort geben konnte, die mindestens eine minimale Vertrautheit mit den Grundprinzipien von Physik zeigte.
Für fünf Minuten saß der Kursteilnehmer still, den Kopf nach vorne, in Gedanken versunken. Der Schiedsrichter erinnerte ihn, dass die Zeit lief, worauf der Kursteilnehmer antwortete, dass er einige extrem relevante Antworten hatte, aber sich nicht entscheiden konnte, welche er verwenden sollte. Als ihm geraten wurde, sich zu beeilen, antwortete er wie folgt:
„Erstens könnten Sie das Barometer bis zum Dach des Wolkenkratzers nehmen, es über den Rand fallen lassen und die Zeit messen, die es braucht, um den Boden zu erreichen. Die Hohe des Gebäudes kann mit der Formel H=0.5g x-t im Quadrat berechnet werden. Das Barometer wäre allerdings dahin!
Oder, falls die Sonne scheint, könnten Sie die Höhe des Barometers messen, es hochstellen und die Länge seines Schattens messen. Dann messen Sie die Länge des Schattens des Wolkenkratzers, anschließend ist es eine einfache Sache, anhand der proportionalen Arithmetik die Höhe des Wolkenkratzers zu berechnen.
Wenn Sie aber in einem hohem Grade wissenschaftlich sein wollten, könnten Sie ein kurzes Stück Schnur an das Barometer binden und es schwingen lassen wie ein Pendel, zuerst auf dem Boden und dann auf dem Dach des Wolkenkratzers. Die Höhe entspricht der Abweichung der gravitationalen Wiederherstellungskraft T=2 Pi im Quadrat (l/g).
Oder, wenn der Wolkenkratzer eine äußere Nottreppe besitzt, würde es am einfachsten Gehen da hinauf zu steigen, die Höhe des Wolkenkratzers in Barometerlangen abzuhaken und oben zusammenzählen.
Wenn Sie aber bloß eine langweilige und orthodoxe Losung wünschen, dann können Sie selbstverständlich das Barometer benutzen, um den Luftdruck auf dem Dach des Wolkenkratzers und auf dem Grund zu messen und der Unterschied bezüglich der Millibar umzuwandeln, um die Hohe des Gebäudes zu berechnen.
Aber, da wir ständig aufgefordert werden die Unabhängigkeit des Verstandes zu üben und wissenschaftliche Methoden anzuwenden, wurde es ohne Zweifel viel einfacher sein, an der Tür des Hausmeisters zu klopfen und ihm zu sagen:
Wenn Sie ein nettes neues Barometer möchten, gebe ich Ihnen dieses hier, vorausgesetzt Sie sagen mir die Höhe dieses Wolkenkratzers."
Der Kursteilnehmer war Niels Bohr, der erste Däne, der überhaupt den Nobelpreis für Physik gewann.
Obwohl der Student die Aufgabe gelöst hat passte sie nicht in das Denk-Geländer des Professors. Und so geht uns auch in Unternehmen. Insgeheim haben wir uns schon zurechtgelegt, wie wir das lösen können. Wir möchten nur noch von außen die Bestätigung bekommen. Wenn jetzt jemand mit einem völlig anderen Gedanken kommt, dann bringt uns das ganz oft so stark aus der Fassung, dass wir uns gar nicht trauen, diesem Gedanken eine Chance zu geben. Oft werden diese Mitarbeiter dann als "Querulanten" bezeichnet.
Wie hätten denn Sie in dem oben geschilderten Fall reagiert?
Was machen Sie, wenn ein Mitarbeiter statt der „richtigen Antwort“ eine kreative Antwort gibt?
Was machen Sie, wenn ein Mitarbeiter es so macht, wie der Kunde es will und nicht so, wie der Chef es will?
Was machen Sie, wenn sich ein Mitarbeiter nicht an einen Prozess hält, weil es mit gesundem Menschenverstand anders einfacher geht?
An Ihren Antworten erkennen Sie, ob Sie lieber an dem altbekannten festhalten wollen oder, ob das Thema Loslassen, neu denken nicht nur ein Lippenbekenntnis ist.
In der immer schnelllebiger Zeit brauchen wir immer mehr ganz schnell kreative Lösungen. Diese Lösungen werden nicht die nächsten 20 Jahre Bestand haben. Vielleicht nur die nächsten 14 Tage. Aber, wer bereit ist neu zu denken wird immer eine Lösung finden, wie er die Höhe des Turms herausfinden kann.
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